Kategorie: aktivistisch

Glitzer auf der Bühne – Gewalt auf der Strasse

Nächste Woche wird mit dem Eurovision Song Contest (ESC) queere Sichtbarkeit in Basel gefeiert – dank des letztjährigen Sieges der nicht-binären Person Nemo. Doch darf diese symbolische Bühne nicht über die Lebensrealitäten von queeren Personen in der Schweiz hinwegtäuschen: LGBTIQ-Personen sind weiterhin beinahe täglich Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt – besonders im öffentlichen Raum und im Internet. 

Zu diesem Schluss kommt der heute veröffentlichte Hate Crime Bericht der LGBTIQ-Helpline: Im Jahr 2024 wurden 309 Fälle von queerfeindlichen Angriffen und Diskriminierungen gemeldet. Die LGBTQ-Dachverbände fordern, dass der Staat endlich seine Verantwortung wahrnimmt.

Jedes Jahr im Mai veröffentlichen die LGBTQ-Dachverbände Transgender Network Switzerland (TGNS), die Lesbenorganisation Schweiz (LOS) und Pink Cross den Bericht zu Hassverbrechen gegen LGBTQ-Personen in der Schweiz. Dieser basiert auf Meldungen bei der LGBTIQ-Helpline, der Meldestelle für Hate Crimes und Peer-Beratungsstelle für queere Personen (LGBTIQ).

Hassverbrechen und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen in der Schweiz bewegen sich weiterhin auf alarmierendem Niveau. Im Jahr 2024 wurden 309 Vorfälle an die LGBTIQ-Helpline gemeldet – fast sechs Hassverbrechen pro Woche. Diese Zahl bleibt hoch – im Vorjahr waren es 305 Meldungen. Seit 2020 haben sich damit die Meldungen zu Hassverbrechen und Diskriminierung gegen lesbische, schwule, bisexuelle, trans, nicht-binäre, intergeschlechtliche und queere Personen verfünfacht. Die gemeldeten Vorfälle umfassen körperliche Übergriffe, verbale Gewalt, sexuelle Belästigungen sowie Diskriminierungen im Arbeitsumfeld, im Kontakt mit öffentlichen Institutionen und im Gesundheitswesen.

Die Hälfte der gemeldeten Hassverbrechen betraf trans Personen, sowohl binäre wie auch nicht binäre. Frédéric Mader, Co-Präsidium von TGNS, zeigt sich besorgt: «Seit Monaten wird in Politik und Medien gegen trans Personen gehetzt. Nun zeigt sich, dass dieser Diskurs reale Auswirkungen auf die Sicherheit von queeren Personen hat. Diese Angriffe müssen ernst genommen werden, denn sie führen bei den Betroffenen zu schweren psychischen Folgen wie Angststörungen und Depressionen.»

Politik darf nicht weiter schweigen

Trotz zahlreicher Aufrufe zum Handeln bleibt die Politik bislang untätig. Alessandra Widmer, Co-Geschäftsleiterin der LOS, kritisiert das politische Schweigen: «Der Bund muss endlich Verantwortung übernehmen. Wir fordern konkrete Massnahmen gegen LGBTIQ-Feindlichkeit: Prävention in der Schule, Sensibilisierung der Polizei, Unterstützung für Betroffene und wirksamen rechtlichen Schutz für trans Personen.»

Zudem fehlt es an finanziellen Mitteln für die bestehenden Beratungs- und Unterstützungsangebote der queeren Community. Roman Heggli, Geschäftsleiter von Pink Cross, fordert: «Wir feiern die queere Sichtbarkeit am ESC. Doch LGBTIQ-Personen brauchen nicht nur Sichtbarkeit, sondern auch Sicherheit. Der Staat muss dafür endlich die Verantwortung übernehmen und Beratungsangebote für Betroffene, wie die LGBTIQ-Helpline, finanziell unterstützen.»

→ Link zur LGBTIQ-Helpline

Die LGBTIQ-Helpline ist die erste Anlaufstelle für alle Anliegen zum Leben als lesbische, schwule, bisexuelle, trans, nicht binäre, intergeschlechtliche oder queere Person. Sie ist eine Peer-to-Peer Beratungsstelle und die Meldestelle für LGBTIQ-feindliche Gewalt. Das Beratungsangebot richtet sich an alle Menschen, welche Fragen und Anliegen zum LGBTIQ-Lebensumfeld haben – egal, welche sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sie selbst haben.

Einsamkeit im Pflegeheim ist prominent

Im Dezember 2023 wurde in Bern der Verein «connect!» gegründet. Zweck des Vereins ist die Prävention von Einsamkeit und die Linderung der negativen individuellen und gesellschaftlichen Folgen von Einsamkeit in der Schweiz.

Mit Fachtagungen und verschiedensten Projekten will «connect!» gegen die Einsamkeit angehen und hat hierzu diverse spannende Berichte zu Einsamkeit im Alter erstellt. Darunter u.a. eine Literaturanalyse «Einsamkeit im Alter», welche beim Schweizer Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung ISGF in Auftrag gegeben wurde. Wichtigste und traurige Erkenntnis daraus: Die höchste Zahl an einsamen Menschen im Alter gibt es in Alters- und Pflegeheimen.

Auszug mit den Gründen:

Perspektive der Bewohner*innen von Langzeitpflegeeinrichtungen: Einsamkeit im Pflegeheim ist prominent. Die Beschreibung der Einsamkeit divergierte von Alleinsein über Langeweile bis hin zum Gefühl, sich nicht zuhause zu fühlen. Als Ursache von Einsamkeit werden personenbedingte und heimstrukturelle Faktoren in Betracht gezogen: physische Trennung, Heimweh, erschwertes Knüpfen von Kontakten nach Heimeintritt, fehlende ausserinstitutionelle Kontakte sowie starre Hierarchien, fehlende Autonomie, Mangel an Aufgaben und Abwechslung, eingeschränkte Partizipation. Mit dem Umzug ins Pflegeheim geht ein Abgeschnittensein von der Aussenwelt einher. Auch während eines mehrjährigen Aufenthaltes im Heim gelingt es den Bewohner*innen nicht, «bedeutungsvolle und sinnhafte Beziehungen» aufzubauen, so die Autor*innen. Der Kontakt zu kognitiv eingeschränkten Mitbewohner*innen führt zum Rückzug der nicht-beeinträchtigten Personen und zu einem Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit. Teilweise wurde eine stigmatisierende Haltung gegenüber einsamen Gleichaltrigen festgestellt. Das Ausmass der Krankheitsakzeptanz, die Fähigkeit, sich auf Veränderungen einzustellen, und die Lebenszufriedenheit beeinflussen das Ausmass der gefühlten Einsamkeit. Das Sterberisiko war bei den «manchmal einsamen» und den «immer einsamen» Bewohner*innen signifikant höher als bei den «nicht einsamen». Schlussfolgerung der Autor*innen: Einsamkeit hat schwerwiegende Folgen im institutionellen Umfeld und verdient daher mehr Aufmerksamkeit in Pflege und Forschung. (Seite 20)

Die Literaturanalyse ist recht umfassend und unterscheidet auch verschiedene Diversitätskriterien. (Noch) keine Hinweise gibt es zu LGBTIQ. Wir müssen wohl einfach davon ausgehen, dass es für LGBTIQ nochmals potenziert ist, da der Kreis kleiner und häufig keine Nachkommen.

Und was wirkt? Eine Erfahrung aus Irland

Irland: ehrenamtliches Besuchsprogramm für ältere Menschen, randomisierte Studie (Lawlor et al., 2014): Peer-Besuchsintervention für in der Gemeinschaft lebende ältere Menschen mit Einsamkeitserfahrungen. Freiwillige bauten während zehn Hausbesuchen eine Beziehung zu den von Einsamkeit Betroffenen auf und ermutigten sie, soziale Bindungen zu finden. Die Einsamkeit verringerte sich in der Interventionsgruppe zu verschiedenen Follow up-Zeitpunkten. Auch für die Freiwilligen wurde ein Nutzen, insbesondere ein Rückgang der eigenen Einsamkeit, festgestellt. Die Massnahme ist kostengünstig und kann in bestehende Unterstützungsdienste (z.B. NGOs) integriert werden. (Seiten 21/22)

Fazit aus der Sicht von queerAlternBern: Mit der Idee von «Queer begleitet Queer» und dem Projekt «queer key» setzen wir an einem wichtigen und am richtigen Ort an! Und präventiv mit all den Möglichkeiten der Teilhabe im Verein queerAlternBern sowieso!

→ Link zu «connect! gemeinsam weniger einsam» 

Ungarn verbietet Pride

In Bern freuen wir uns bereits sehr auf unsere Pride vom 2. August dieses Jahres, denn eine Pride ist viel mehr als nur eine farbenfrohe Feier – es ist eine Demonstration für Gleichberechtigung und Akzeptanz, die den Ursprung in den Stonewall-Unruhen vom Juni 1969 in New York haben, als sich queere Menschen endlich gegen die willkürlichen Polizeirazzien wehrten. Deshalb ist es für mich unbegreiflich, dass Ungarn nun die Durchführung einer Pride verbietet.

Beschlossen wurde das Verbot der Pride im ungarischen Parlament in Budapest im Eilverfahren mit 137 Ja- und 27-Nein-Stimmen. Personen, die sich nicht an das Verbot halten, droht eine Geldstrafe von rund 480 Franken – gleichgültig ob du nun Teilnehmer*in oder Organisator*in bist. Dabei soll eine Gesichtserkennungssoftware eingesetzt werden. Begründet wird das Verbot mit dem Kinderschutz. Bereits seit 2021 verbietet Ungarn Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Informationen über nicht heterosexuelle Lebensformen. Entsprechende Bücher, Filme und andere Medien dürfen demnach nicht für Minderjährige zugänglich sein.

Und bereits plant die ungarische Regierung unter dem rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán eine Verfassungsänderung, nach der ein Mensch ausschliesslich als Mann oder Frau definiert wird. Seit Dezember 2020 schreibt Ungarns Verfassung zudem vor, dass eine Mutter nur eine Frau und ein Vater nur ein Mann sein kann.

Die erste «Budapest Pride» fand übrigens 1997 statt – und bis zur Pride im Juli 2007 gab es nur vereinzelte Proteste. 2003 skandierte Rechtsradikale Parolen wie «Dreckige Schwule». 2004 bliesen christliche Aktivisten in Trillerpfeifen und hielten Schilder mit Bibelzitaten hoch, 2005 und 2006 verhöhnten Neonazis und Rechtsextreme die Teilnehmenden. Während der Pride im Juli 2007 kam es dann zu grossen Proteste. Mehrere hundert Polizisten eskortierten den Umzug in voller Kampfmontur. Gegendemonstrant*innen skandierten «Dreckige Schwuchteln!» und warfen Eier und leere Bierdosen auf die Teilnehmenden der Pride. Die Polizei konnte einen brutaleren Angriff auf die Parade nur knapp verhindern. Jahr für Jahr wurde der Druck gegen die «Budapest Pride» grösser und gipfelt nun in diesem Jahr mit dem Verbot.

Ungarn gehört seit 2004 zur Europäischen Union.